Martin Amanshauser

Man muss die Finger schnell bewegen

Wenn Xavier de Maistre vor seinem Eiskaffee sitzt, würden die wenigsten Menschen denken, dass es sich bei diesem Mann um den berühmteste Harfenisten der Welt handelt. Dabei ist er schon seit zehn Jahren Mitglied der Wiener Philharmoniker und somit ein alter Hase. Doch nach dem Erscheinen seiner Solo-Haydn-CD geht für den Franzosen die Weltkarriere los: Am 20.10. wird ihm als erster Harfenspieler überhaupt eine der größten Auszeichnungen der klassischen Musikwelt verliehen, ein „Echo Klassik“ - gemeinsam mit Anne-Sophie Mutter, Elina Garanca und Emmanuel Pahud.

Ich las, Sie hätten „schon“ mit neun Jahren mit dem Harfespielen begonnen. Wunderkinder beginnen doch mit vier!

Es war ein Zufall. Meine Eltern schickten mich in die Musikschule von Toulon. Die Harfenlehrerin machte gerade eine Klasse auf. Ich hab mich mehr oder weniger in sie verknallt. Das war eigentlich eine Liebesgeschichte.

Haben Sie vorher ein Instrument gespielt?

Nein, die Harfe war mein erstes und letztes. Mir wurde bald klar, wie sie mir am Herzen liegt. Meine Eltern waren eher beunruhigt. Ich war nicht unbegabt in der Schule, und niemand wollte, dass ich professioneller Musiker werde. Also ging ich nach Paris an die „Ecole des Sciences Politiques“ und anschließend kurz auf die „London School of Economics“. Dort wurde mir klar, die Harfe fehlt mir so – ich muss was mit der Harfe machen.

Viele Kinder werden zum Instrument gezwungen.

Ich hatte das Glück, schnell zu lernen. Es blieb immer spielerisch. Im Sommer hab ich auch alleine gerne geübt.

Üben kann doch nicht immer Spaß machen.

Klar gibt es Zeiten, wo man ein bisschen kämpft. Aber wenn ich zu Hause bin, setze ich mich auch heute hin und spiele – das ist das schönste.

Wie ist der Stellenwert der Harfe in der klassischen Musik?

Erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts taucht sie auf. Mozart, Beethoven, Brahms, Schumann, Schubert … da ist kaum was. Ich tue alles, um das Repertoire zu erweitern. Viele Dinge sind völliges Neuland. Bei meiner ersten Solo-CD „Nuit d´Etoiles“ ließ ich Debussy arrangieren, von ihm gibt es immerhin ein für Harfe komponiertes Stück, Danse Sacrée et Danse Profane. Bei der neuen Haydn-CD ist zum Beispiel gar nichts im Original. Das wurde alles komponiert für Cembalo und Pianoforte.

Es heißt, Harfespielen sei kompliziert wie Hubschrauber fliegen.

Es geht um Koordination und Geschwindigkeit. Man muss die Finger schnell bewegen. Man braucht ein sehr gutes Rhythmusgefühl. Dafür vielleicht nicht unbedingt ein absolutes Gehör. Früher hatte ich ein katastrophales Gehör. Ich hab ganz schlecht gesungen, alles falsch. Und ich hab das wirklich geübt, und mittlerweile geht’s.

In meiner Vorstellung sitzt an der Harfe immer eine Frau.

Viele denken bei Harfe, aha, eine hübsche Frau mit Kleid und langen Haaren, und dadurch wird das Instrument absurderweise nicht so ernst genommen. Wir haben noch immer über neunzig Prozent Frauen. Aber das ändert sich.

Wie transportieren Sie Ihre Harfe?

Ein Auto ist natürlich kein Fehler. Aber mittlerweile habe ich glücklicherweise eine Vereinbarung mit meiner Harfenfirma Lyon & Healy, die stellen mir ein Instrument dorthin, wo ich es brauche.

Immer Lyon & Healy, wieso?

Weil das die beste Firma ist!

Naja, Sie haben vermutlich einen Vertrag mit denen und sagen das jetzt …

So ist es! Spaß beiseite – wenn ich sie spiele, trägt diese Lyon & Healy extrem. Ich kann sicher sein, dass auch ganz hinten im Saal der Ton scharf ankommt. Es gibt auch andere Firmen, Horngacher in Deutschland, Camac in Frankreich …

Und die japanischen Harfen von Aoyama. Ich möchte nicht rassistisch wirken, aber … sind die kleiner?

Gar nicht, Aoyama sind gute, zuverlässige Instrumente. Für mich es aber wichtig, dass meine Firma weltweit vertreten ist. Ich hab heute ein Konzert in Seoul, morgen in Venezuela, ich möchte ja, wo ich bin, eine Harfe vorfinden.

Sie besitzen schon eine eigene?

Ich bin ehrlich gesagt ziemlich untreu. Aber meine CD hab ich aufgenommen auf meiner Lieblingsharfe, die ist jetzt in Wien.

Es sei Xavier de Maistre gelungen, las ich, die Harfe aus dem Bereich der zarten Töne herauszuholen!

Beim Gedanken an Harfe haben viele irgendwelche esoterischen Klänge im Kopf. Dabei ist die Harfe ein komplettes Instrument. Ein Kritiker meinte neulich nach einem Smetana-Konzert, er konnte gar nicht glauben, dass die Harfe ein ganzes Orchester ersetzen kann.

Wie haben Sie den Job bei den Wiener Philharmonikern gekriegt?

In der Harfenwelt gibt es so wenige Stellen, dass man schon zehn Jahre vorher weiß, dort wird zu diesem Zeitpunkt was frei. Man muss das Glück haben, im richtigen Alter zu sein. Es bewarben sich 120 Leute. Es soll jetzt nicht arrogant klingen, aber ich hatte vorher internationale Bewerbe gewonnen. Es ist wie beim Sport, wer schon vorher viel gewonnen hat, ist selbstbewusst.

Waren Sie nervös?

Jeder reagiert anders auf Druck. Manche überkommt so eine Müdigkeit. Ich bin eher angeregt, kriege eine gewisse Hektik und habe die Tendenz, zu schnell zu werden. Das Probespielen ist ja das Schlimmste. Die Jury sitzt hinter einem Vorhang. Und Sie spielen Orchesterausschnitte ohne Orchester – die schwersten Stellen. Das muss perfekt sein. Man muss das Gefühl vermitteln, dass man weiß, worum es geht. Und das alles entscheidet sich in wenigen Minuten.

… aber wenn Sie ein Mongole gewesen wären, wäre es schwieriger geworden, oder?

Ich weiß nicht. Das ändert sich. Als ich kam, im Jahr 1999, waren die Philharmoniker noch konservativer, traditioneller. Aber die Stärke des Orchesters lag immer in seinen demokratischen Strukturen.

Bei so vielen Männern auf einem Haufen muss es doch Ressentiments geben?

Gegen Frauen? Nein, ich glaube, es ist sogar umgekehrt. Viele von uns sind sicher glücklich, Frauen dabei zu haben auf der Tournee.

Verspielen Sie sich manchmal?

Ich gebe zu, im Orchester kann schon einmal passieren, dass man zwischendurch auf Automatik stellt und kurze Strecken spielt, ohne das man wirklich mitdenkt. Es soll aber nicht passieren. An Soloabenden liegt alles in meiner Verantwortung. Ein gutes Konzert ist ein Spiel zwischen Solist und Publikum. Die Leute wollen was erleben. Egal, wenn man ein paar falsche Töne gespielt hat oder irgendwas daneben gegangen ist, das hab ich in den letzten Jahren gelernt. Ich nehme sehr viel Risiko …

… man kann also die Harfe riskant spielen?

Ich bin jemand, der auf 200 Prozent geht. Von Pianissimo bis Fortissimo, mit Tempiwechsel. Man kann kontrolliert spielen und denken, pass auf, jetzt kommt der Wechsel … oder man lässt sich gehen. Ich gehöre zu den Leuten, die Fehler machen. Aber ich habe gelernt, dass das nicht so schlimm ist.

Die Plattenfirma macht sehr auf Superstar. Macht Ihnen dieses erotische Image Spaß?

Also erotisch, die Bezeichnung fände ich jetzt ein bisschen übertrieben. Es wird auf jung vermarktet, das ist gut. Ich bin ein Augenmensch und mag Mode, mag Sachen, die gut aussehen. Ich mache auch gerne ein schönes Foto-Shooting mit. Das ist nichts, was mich stört oder belastet, solange der Inhalt stimmt.

Sie sind jetzt der bekannteste Harfenist der Welt …

… ja, das heißt aber nichts, weil Harfe leider nichts bedeutet!

Als wären Sie weltberühmt im Wasserball?

Genau. Ich bin in meinem Fach der, der die meisten Konzerte gibt, aber wenn Sie das mit großen Stars vergleichen, dann ist es ein Witz.

Merken Sie von der Krise der Plattenindustrie?

Man macht heute keinen Gewinn mehr machen mit einer Sinfonie-Aufnahme. Die Branche kämpft. Die einzige Chance: aus jungen Künstlern eine Marke zu machen.

Wie sieht es mit der Marke de Maistre aus?

Das werden wir in zwei Jahren wissen.

Sie fühlen sich am Anfang?

Absolut am Anfang!


CD: Hommage à Haydn, Xavier de Maistre (Harfe), Radio-Symphonieorchester Wien, Bertrand de Billy (dir.), Sony 2009.